Mit dem Reformationstag erinnern wir an den Beginn der Reformation der christlichen Kirche durch Martin Luther in Wittenberg im Jahr 1517. Zu jener Zeit herrschten über die sächsischen Territorien die Wettiner, deren Länder seit der Leipziger Teilung von 1485 aus einem ernestinischen und einem albertinischen Landesteil bestanden. Die Schutzherrschaft über das Stift Wurzen übten beide Linien gemeinsam aus. Im April 1516 kam der Leipziger Dominikaner und Ablassprediger Johann Tetzel nach Wurzen und verkaufte auch hier seine Ablassbriefe, mit deren Erlös der Papst den Neubau der Peterskirche in Rom finanzierte.
Die Ernestiner machten zusammen mit den Reformatoren die Kur- und Universitätsstadt Wittenberg jedenfalls zu einem Zentrum der Reformation. Sie gehörten wie der hessische Landgraf Philipp der Großmütige zu den europaweit bedeutendsten Förderern dieser religiösen Erneuerungsbewegung der Kirche, die letztlich zur Entstehung der evangelischen Kirche führte. Der albertinische Landesherr Herzog Georg der Bärtige wiederum setzte sich zusammen mit dem Meißner Bischof Johann VII. von Schleinitz für die Reform des alten Glaubens ein und gegen die Einführung der Reformation zur Wehr. So dauerte es nach dem Thesenanschlag in Wittenberg noch länger als 20 Jahre, bis am 14. September 1539 – nur wenige Monate nach dem Tod Herzog Georgs des Bärtigen (†17. April) – in der Stadtkirche St. Wenceslai in Wurzen die erste lutherische Predigt durch den bis dahin in Thammenhain tätigen lutherischen Pfarrer Johann Hoffmann von der Kanzel erschall. Dom und Stadtherrschaft blieben bis 1542, als Wurzen visitiert wurde altgläubig, dann wurden auch im Dom evangelische Gottesdienste gefeiert.
Mit Herzog Georg von Sachsen an der Spitze war es mitten in den Wirren der Reformation gelungen, den spätestens seit dem 13. Jahrhundert als Regionalheiligen verehrten Meißner Bischof Benno (gest. wohl 1106), dessen Reliquien im Meißner Dom verehrt worden sind, 1524 durch Papst Hadrian V. kanonisieren zu lassen.
Symbolhaftes Zeichen für die Einführung der Reformation auf Druck von Herzog Georgs Bruder Herzog Heinrich dem Frommen mit Hilfe seiner ernestinischen Verwandtschaft und der Wittenberger Theologen im Hochstift Meißen 1539 war die Zerstörung des Bennograbes und die Versenkung der vermeintlichen Gebeine des frisch gekürten Heiligen in der Elbe. Die Reliquien aber waren vorsorglich zusammen mit den Aufzeichnungen seiner Wundertaten im Auftrag des Meißner Bischofs gerettet worden: Zuerst in der Nacht zum 15. Juli in dessen Kapelle seiner bischöflichen Residenz Stolpen. Da Bischof Johann IX. von Haugwitz 1558 infolge des sogenannten „Wurzen-Stolpener-Saukrieges“ aus Stolpen verdrängt wurde, ließ er die Benno-Reliquien nach Wurzen bringen, wo sie in der Domgruft des Bischofs Johann VI. von Salhausen versteckt wurden. 1576 schließlich rettete man sie nach München, wo die Bennoverehrung damit auf Jahrhunderte mit den Wittelsbachern und Bayern verbunden blieb. Im Kontext der Gegenreformation wurde der Sachse 1580 zum Stadtpatron Münchens und Landespatron Bayerns ernannt.
Bischof Johann IX. von Haugwitz akzeptierte die Ausbreitung und Festigung der evangelischen Lehre in Wurzen und im Wurzener Land und ernannte den Reformator Valentin Braun als Stadtpfarrer und Superintendent. Der sächsische Kurfürst August von Sachsen bedrängte den Bischof so lange, bis dieser am 10. Oktober 1581 sein bischöfliches Amt aufgab, zum Protestantismus übertrag und seine Nichte heiratete. Infolge dessen fielen die bischöflichen Territorien samt allen Hoheitsrechten auf dem Wurzener Schloss an die kurfürstliche Regierung. Das Stiftsamt Wurzen war bis 1818 dann ein protestantisches Nebenland des albertinischen Kurfürstentums.
In Johann Christian Schöttgens Chronik der Stadt Wurzen wird erstmals 1717 die Reformationsgeschichte der Stadt Wurzen in einem Kapitel gewürdigt. 1839 – anlässlich des 300-jährigen Reformationsjubiläums wiederum publizierte Julius Leopold Pasig in Wurzen bei Meltzer, dem späteren Verleger vom Wurzener Wochenblatt und Anzeiger, die erste Monografie zu diesem Thema und widmete sie der protestantischen Bürgerschaft der Stadt. In seiner Vorrede erinnert er daran, dass aufgrund der Zeitumstände weder 1639 – nachhaltig geschwächt durch die Kreuz- und Marterwoche 1637 und die Folgen des Dreißigjährigen Krieges – noch 1739 – nachdem sich infolge der Konversion von Kurfürst August dem Starken zum katholischen Glauben der Katholizismus in Sachsen ausbreitete – das Reformationsfest „nicht auf die rechte Weise“ gefeiert werden konnte. Von der höchsten kirchlichen Behörde 1839 angeordnet, wurde das Jubelfest seiner Bedeutung gemäß vorbereitet. Den Städten war es damals freigestellt, das Fest als Lokalfest auszurichten: Leipzig beging es am 19. Mai, Dresden am 6. Juli. Dass Pasig die Reformationsgeschichte aus einem überlegenen evangelischen Blickwinkel heraus erzählt, beweisen pars pro toto die polemische Überschrift des ersten Kapitels „Wurzens religiöses Leben vor der Reformation. Ablaßkram“ und der erste Satz: „Was Wurzens religiöses Leben kurz vor der Reformation betrifft, so läßt sich darüber entweder sehr Viel oder sehr Wenig sagen, sehr Viel darum, weil Wurzen ganz und gar dem römisch-katholischen Glauben huldigte, und wir also den alten Schlamm wieder aufwühlen müßten, um jenes Ekel erregende Bild vom Papstthum und Katholicismus zu entwerfen; auf der anderen Seite läßt sich auch sehr wenig darüber sagen, weil Wurzen selbst sehr wenig oder fast gar keinen Antheil an den kirchlichen Bewegungen des 16ten Jahrhunderts genommen hat. Wir hören nicht, daß sich Wurzen, gleich anderen Städten, nach einer Reformation sehnte, gleich andern Städten, darum hat auch Wurzen in seiner Reformationsgeschichte keine Märtyrer aufzuweisen, denn es ruhte sanft, gleich einem schlafenden Kinde, in den Armen der katholischen Kirche.“